Kategorie: Allgemein

  • Roscoff Zwiebel

    Roscoff Zwiebel

    Sie gehört zur kulinarischen Allgemeinbildung. Derzeit gibt es sie in gut sortierten Bioläden oder bei engagierten Gemüsehändlern zu kaufen, eine der feinsten Zwiebeln, die es gibt: l´Oignon rosé aus der Bretagne. Genauer gesagt aus Roscoff im Finistère im Nordwesten der Bretagne. Dort, wo die Welt offiziell zu Ende ist, baut man sie traditionell an, die rosafarbene Edel-Zwiebel, die ungefähr doppelt soviel kostet, wie eine ordinäre Zwiebel aus heimischer Produktion.

    Die Roscoff–Zwiebel ist eine Institution bei kulinarisch gebildeten Franzosen. Sie wird durch eine AOP im Ursprung geschützt. Sie ist eine alte Zwiebelsorte, die schon von außen dezent zartrosa schimmert. Wenn man sie anschneidet, duftet sie regelrecht fein und animierend süß und ihr Fleisch besitzt tatsächlich eine leicht rosa Farbe.
    Ihre gute Haltbarkeit und ihr hoher Gehalt an den Vitaminen A, B und C machten sie schon vor Jahrhunderten zum begehrten Lebensmittel bei Seeleuten, die mit ihr auf ihren langen Seereisen dem Skorbut, dem Vitamin C-Mangel, vorzubeugen wussten.

    Eine gute Zwiebel erkennt man am festen Druck auf den Trieb. Ist der Trieb oben im Druck weich, wurde sie falsch geerntet und gelagert und man kauft sie besser nicht. Die Zwiebeln aus Roscoff sind fest im Druck und knackig fest im Fleisch. Deshalb besitzen sie optimale natürliche Haltbarkeit. Die kommt aber nicht von ungefähr. Um sie zu gewährleisten, werden die Pflanzen vor der Ernte am Grün bis auf ein Drittel aus dem Boden gezogen und so mindestens acht Tage auf dem Feld vorgetrocknet. Das geht nur von Hand. Danach erfolgt auch die Ernte von Hand, um Verletzungen zu vermeiden. Anschließend werden sie trocken aufbewahrt und bleiben so auf natürliche Weise lange haltbar. Sie sind von September bis April verfügbar.

    Wegen dieser Sorgfalt in der Produktion und ob ihrer herausragenden geschmacklichen Eigenschaften stehen Roscoff-Zwiebeln bei Kennern hoch im Kurs. Auch eine simple Zwiebel kann also besser sein als andere und darf deshalb auch teurer sein. Gutes Handwerk hat seinen Preis.

    Wer diese Zwiebeln kennt, der will sie wieder, denn Roscoff-Zwiebeln besitzen einen unvergleichlich süßlich-milden Geschmack. Ihre knackig zarte Struktur und ihr zart pikanter Geschmack machen sie schon roh zum Hochgenuss. Gekocht oder gebraten aber entfalten sie eine Aromenfülle, die ihresgleichen sucht und den Unterschied frustrierend deutlich schmeckbar macht. Leider sind die Zwiebeln aus Roscoff rar. 56 Erzeuger produzieren auf ca. 65 ha Fläche nur rund 1300 Tonnen Zwiebeln.

    Spannend übrigens ist auch die Historie dieser Zwiebel. Im 19. Jahrhundert erschlossen sich die Bauern aus Roscoff das gegenüberliegende England als Absatzmarkt. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad machten sie sich auf den Weg durch England, Schottland und Wales, um ihre Zwiebeln von Stadt zu Stadt wandernd zu verkaufen. Oft waren sie so monatelang unterwegs. Zwiebeln fanden sich zu jener Zeit in Ermangelung anderer Vitaminquellen “in diesem Land in jeder Soße”. Noch wusste man nicht um die Wirkung der Vitamine, aber man wusste wohl aus Erfahrung oder man spürte es, dass sie gesund waren. Diese Händler, die ab dem Jahr 1828 unterwegs waren, wurden von den Engländern “Johnnies” genannt, es waren vermutlich an die 1200 Bauern, die so Jahr für Jahr ihr Gemüse aus Roscoff in England verkauften. Ihnen zu Ehren findet heute jeden Sommer in Roscoff nach der Ernte das Fest der rosa Zwiebel statt, La fête de l´oignon rosé.

  • Die Seele der Kochbücher

    Die Seele der Kochbücher

    „Ihr lieben goldigen Menschen, liebe Freunde in Lucullus, verehrte Feinschmeckergemeinde!“, so steht es auf der Website der Bibliotheca-Culinaria. Die Inhaber Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr zitieren mit diesem Satz Clemens Wilmenrod, Deutschlands ersten Fernsehkoch und Erfinder des Toast Hawaii.

    Ich betrete den Laden im Souterrain eines Berliner Bürgerhauses in Berlin Mitte und bin geplättet. Ich dachte immer, dass ich eine ansehnliche Kochbuch-Bibliothek besitze mit meinen ca. 1.500 Exemplaren. Doch was ich hier, im größten deutschen Kochbuch-Antiquariat, sehe, ist unglaublich und macht mich neugierig:

    Ich stöbere durch die vier Räume der Bibliotheca und entdecke eine Vielfalt an Kochbüchern aus allen Epochen. Ergänzt werden die kulinarischen Werke durch interessante, teils skurrile Accessoires rund um Kochen und Küche. Zum Beispiel eine Aufziehpuppe, die mit einem Schlüssel aufgezogen wird, eine Pfanne in der Hand hält und würzt und brät.

    Inhaber Johannes Mohr steht vor seinem Laden und raucht eine Pfeife. Wir kommen schnell ins Gespräch, er zeigt mir seine Schätze und zieht mich damit in seinen Bann. Seit 25 Jahren sammelt er leidenschaftlich Kochbücher und ist vor einigen Jahren aus Gelsenkirchen nach Berlin gekommen. Mit der Bibliotheca-Culinaria hat er sich einen Traum erfüllt.

    Über 15.000 Titel aus vielen Epochen hat er zusammengetragen. Das älteste Exemplar stammt aus dem Jahr 1660. Behalten wird er es nicht. Denn jedes Werk, das er findet, wird zum Verkauf gebracht. Es geht ihm dabei nicht um’s Geschäft. Einen Online-Shop lehnt er kategorisch ab. Es geht ihm, so erzählt er, um die Seele in den Büchern und die Seele der  Menschen, die zu ihm kommen und die er mit den Kochbüchern beglücken kann.

    Außer mir ist noch eine Kundin im Laden, die extra wegen der Bibliotheca nach Berlin gereist ist. Schnell kommen wir ins Gespräch und lassen uns Mohrs Schätze zeigen. Er findet alles sofort, bleibt keine Antwort schuldig und kann zu allen Werken eine Geschichte erzählen.

    Wieder und wieder bringt er uns unermüdlich und bedacht Werke, die wir nicht kennen, die uns aber völlig faszinieren: Eine handschriftliche Erstausgabe von 1730, Bücher, die die Notküche des zweiten Weltkriegs beschreiben oder ein Werk der Köchin Henriette Davidis, die 1840 ihr erstes Kochbuch schrieb und bis heute Menschen begeistert, die sich in Kochclubs zusammenfinden um nach ihren Rezepten zu kochen.

    Mohr bringt uns das Dr. Oetker Schulkochbuch in Brailleschrift und das „Weiße Haus Kochbuch“ gewidmet „den Gattinnen unserer Präsidenten, welche das weiße Haus zierten“. In „Nationale Küchen“ aus dem Jahr 1984 beschreibt W.W. Pochljobkin die Kochkunst der sowjetischen Völker. Von Apfelkartoffeln bis Zwiebelkuchen werden volkstümliche Gerichte aus der DDR beschrieben.   Ich verfalle fast in einen Kaufrausch, um meine eigene Bibliothek zu ergänzen. Doch Mohr beschwichtigt mich und erzählt mir die Geschichte eines Kochbuchsüchtigen Kochs, dem er den Kauf weiterer Bücher untersagt hat, um ihn nicht zu ruinieren.

    Es war ein außergewöhnlicher Montag Mittag in der Bibliotheca-Culinaria. Ich wollte eine kurze Stippvisite machen und blieb drei Stunden. Meine Bahn zurück nach Hause habe ich erstmal sausen lassen. So sehr hat mich die Kochbuchsammlung und Johannes Mohrs Geschichten fasziniert. Kein Wunder, dass die internationale Presse das Geschäft als einzigartig erklärt und von Japan bis zu den USA Presseberichte über die Bibliotheca-Culinaria zu lesen sind.

    Bibliotheca Culinaria
    Das Kochbuchantiquariat in Berlin-Mitte
    Zehdenicker Straße 16
    10119 Berlin
    www.bibliotheca-culinaria.de

  • Kochbuch-Tipp: “Rauchzeichen”

    Kochbuch-Tipp: “Rauchzeichen”

    Geselligkeit am offenen Feuer ist so alt wie die Kochgeschichte. Was gibt es Schöneres, als im Sommer an einem offenen Feuer zusammenzusitzen? Oder Kartoffeln, Würste und Gemüse auf heißer Glut zu grillen? Doch welche Hölzer eignen sich am besten zum Feuermachen? Und welche Tools gibt es zum Outdoor-Kochen außer den traditionellen Grill?

    Das Buch von Kochbuchautor Angelo Menta und Fotograf Hubertus Schüler ist ein Liebhaber-Kochbuch mit wunderschönen Fotos und köstlichen Rezepten für das Kochen unter freiem Himmel. Und weil es nicht unbedingt ein Luxusgrill sein muss, stellt das Buch herrlich nostalgische Utensilien wie Eisenpfanne, Drehspieß, Gulaschkessel, Potje oder Dutch Oven vor.

    Darin werden Gerichte zubereitet wie das “Angelfondue aus dem Potje”, “Kesselgulasch mit Serviettenknödel” oder “Quinoa-Buletten”. Das “Teelicht-Sous-Vide” ist dann was für Eingefleischte: Für das sanfte Garen braucht man nur vakuumverpacktes Fleisch, ein Stövchen, Teelichter und ein Thermometer. Außerdem gibt es Rezepte für leckere Beilagen wie Outdoor-Pommes und verschiedene Saucen. Und als Dessert? “Gebrannte Birnen mit karamellisierten Walnüssen und Vanilleeis” – yummy!

    Fazit: Tolle Fotografien und außergewöhnliche Fleischrezept für Grillliebhaber und Menschen, die das rustikale Outdoor-Gefühl lieben. Bringt uns auf die schöne Idee: Mal wieder draußen kochen wie ganz, ganz früher.

    Rauchzeichen – Das Spiel mit dem Feuer: grillen, kochen, räuchern
    Angelo Menta, Hubertus Schüler
    Becker Joest Volk Verlag
    Hardcover, 192 Seiten
    bei Amazon bestellen

    Fotos: Becker Joest Volk Verlag

  • Kochbuch: “Mama kocht”

    Kochbuch: “Mama kocht”

    Erika, Ida, Hiromi und Magdalena – das Inhaltsverzeichnis dieses wundervoll nostalgischen Kochbuchs ist nach Mütternamen geordnet. Ob in der Schweiz, Polen, Japan oder Frankreich, von überall her hat der Autor und Fotograf Sylvan Müller Mütter-Rezepte gesammelt. So kommen nicht nur Frankfurter Bethmännchen und Gulaschsuppe auf den Tisch, sondern auch Lemon Curd Jam, Pasta mit Schnecken oder polnische Pierogi.

    Doch nicht nur die Rezepte werden verraten, auch die entsprechenden Geschichten dazu. Das Blättern durch das Kochbuch ist wie ein Blick in ein altes Familienalbum: Rezepte, Anekdoten, nostalgische Familienfotos dazu die schönen, verträumt-kulinarischen Food-Fotos von Sylvan Müller.

    Und dass am Ende die Gerichte, wenn man sie nachkocht, vielleicht doch nicht so lecker schmecken, wie von Mutter selbst gekocht, liegt wohl daran, dass eine Zutat in allen Rezepten nicht aufgeführt wird: Die Prise Liebe, die sich beim Kochen für die Liebsten wie von Zauberhand in alle Gerichte mischt.

    Sylvan Müller: Mama kocht. Erinnerungen und Rezepte aus Mutters Küche. AT Verlag gebunden, Leinen, 240 Seiten
    bei Amazon bestellen

    Fotos: Sylvan Müller, AT Verlag

  • Die Frankfurter Küche

    Die Frankfurter Küche

    Links eine Front mit Schränken, Schubladen, Schütten und Spüle, rechts der Herd und eine Schiebetür. Am hinteren Ende eine Arbeitsplatte und zwei weitere Schränke. Alles gefertigt in leichten, abwaschbaren, robusten Materialien. Das hölzerne Bügelbrett zum Herunterklappen entlockt einem ein leichtes Schmunzeln. Und die nahtlose Verbindung zwischen dem Arbeitstisch und dem „Müllschlucker“ überzeugt heute noch mit Cleverness. Ansonsten scheint die Frankfurter Küche, die zum Beispiel im Museum der Dinge in Berlin ausgestellt ist, ziemlich unspektakulär.

    1926 aber war das Erstaunen groß. Ludwig Rössinger, der damals Führungen durch die Wohnungen mit der neuartigen Küche machte, musste sich immer wieder dieselben Einwände anhören: „Was ist denn das für eine komische Küche?“ (ohne Küchenbuffet, ohne Tisch, ohne ein einziges bewegliches Möbelstück). Und: „Die ist ja so klein, wie soll man sich denn darin bewegen!“ Was diese Leute nicht wussten: Der Clou dieser Küche war es gerade, sich möglichst wenig zu bewegen. In einer Zeit, in der die Menschen nur Wohnküchen kannten, war eine 6,5 Quadratmeter kleine Küche eine Revolution – und streng ökonomisches Kalkül.

    Heute unspektakulär, 1926 eine kleine Revolution: die durchrationalisierte Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Armin Herrmann/Werkbundarchiv – Museum der Dinge

    Der akuten Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg wollte man in Frankfurt mit dem Stadtplanungsprogramm “Neues Frankfurt” entgegentreten. Das Ziel: 10.000 moderne, funktionalistische Wohnungen, die möglichst wenig Kosten und Platz beanspruchten. Der damalige Frankfurter Stadtbaurat Ernst May beauftragte die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky 1927 mit der Konzeption einer Küche für diese Wohnungen. An der Frankfurter Frühjahrsmesse 1927 wurde sie im Rahmen der Ausstellung „Die neue Wohnung und ihr Innenausbau“ erstmals präsentiert.

    Schütte-Lihotzky war eine sachliche Frau und eine Anhängerin der Bauhaus-Architektur. Eine moderne Küche musste zweckmässig sein. Zierrat und Schnörkeleien waren ihr unverständlich: „Kommen wir in die Wohnungen, so finden wir immer noch den alten Tand und die üble übliche ‚Dekoration’“ schrieb die Architektin 1927 in ihrem Aufsatz „Rationalisierung im Haushalt“. Schütte-Lihotzky orientierte sich bei der Konzeption der Frankfurter Küche an den Speiswagenküchen, vor allem aber an der Fabrikarbeit: „Wir können die Grundsätze arbeitssparender, wirtschaftlicher Betriebsführung, deren Verwirklichung in Fabriken und Büros zu ungeahnten Steigerungen der Leistungsfähigkeit geführt hat, auf die Hausarbeit übertragen“, so Schütte-Lihotzky.

    Diese ökonomische Strenge ist unübersehbar. Ausziehbare Arbeitsflächen, Abtropfgestell für das Geschirr, schnörkellose Griffe. Alles sehr praktisch, aber nicht sehr gemütlich. Nur die Aluminium-Schütten für Reis, Mehl und andere Lebensmittel mögen heute noch entzückte Blicke von Vintage-affinen Menschen auf sich ziehen. In der Frankfurter Küche fanden diese Behälter aber nicht wegen ihrer schönen Form Verwendung, sondern wegen ihrer Doppelfunktion als Kanne und Schublade. Lebensmittel hygienisch, platzsparend und griffbereit lagern – das passte perfekt in das Konzept dieser Küche, die Raum und Zeit optimieren sollte.

    Kanne und Schublade in einem: die Schütten aus Aluminium dienten in der Frankfurter Küche der Lebensmittelaufbewahrung. Foto: Armin Herrmann/Werkbundarchiv – Museum der Dinge

    Wie für neue Küchengeräte wurden für die Frankfurter Küche Gebrauchsanweisungen und Instruktionsfilme produziert. Ziel war „ein besseres Leben für alle“. „Besser“ bedeutete in diesem Fall weniger Schritte, weniger Handgriffe, weniger Zeit in der Küche. Schütte-Lihotzky ging von einer Hausfrau aus, die auch einer Erwerbarbeit nachging und die Hausarbeit möglichst effizient erledigen will. Nach dem Taylor-Prinzip wurden für die Konzeption der Frankfurter Küche Schritte gezählt und Zeiten für einzelne Arbeiten gestoppt. Jeder Zentimeter wurde genutzt, die Planung gnadenlos der Rationalisierung unterworfen. Mit mathematischem Eifer wurde vorgerechnet: Für einen normalen Arbeitsschritt muss die Frau in einer herkömmlichen Küche 19, in der Frankfurter Küche nur sechs Meter zurücklegen.

    Die Küche als Kochfabrik, die Hausfrau als Kücheningenieurin und Kochen als Arbeit, die es zu rationalisieren galt. Diese Gedanken prägten die Frankfurter Küche. Sie war eine vom Esszimmer getrennte, reine Arbeitsküche für eine Person. Soziale Funktionen, wie sie die Wohn- und Bauernküche erfüllten, hatten hier keinen Platz. Mithilfe der Schiebetür zum Esszimmer sollte der Weg zwischen Herd und Esstisch dennoch maximal kurz gehalten werden. Diese Theorie hielt der Praxis aber oft nicht stand. Viele Familien mauerten die Schiebetür zu, um im ohnehin kleinen Esszimmer mehr Platz für Möbel zu schaffen.

    Bis 1930 wurde die Frankfurter Küche 10.000-fach in zahlreichen Variationen in verschiedenen Frankfurter Siedlungen umgesetzt. Ihr Einfluss auf den Küchenbau ist bis heute spürbar: Sie war die erste typisierte Küche mit standardisierten, fest eingebauten, nach Arbeitsabläufen angeordneten Elementen – und damit die erste Einbauküche.

    Dasselbe in Blau: Die Frankfurter Küche wurde 10.000-fach in verschiedenen Varianten umgesetzt. Foto: Gerald Zugmann/MAK

    Doch die alte Wohnküche war nicht ausgestorben und spätestens Anfang der 1980er Jahre regte sich Widerstand gegen die vermeintlich ideale Küche. Der Schwäbische Gestalter Otl Aicher kritisierte 1982 in seinem Buch „Die Küche zum Kochen“ die minimale Bewegungsfläche und die penibel eingepassten Einbaufronten der Frankfurter Küche. Aicher, ebenfalls Anhänger der Bauhaus-Prinzipien, plädierte zwar auch für eine funktionalistische, minimalistische und ergonomische Einrichtung. Für ihn war die „richtige“ Küche aber ein großzügiger Raum statt eine „durchrationalisierte Hausfrauenküche“ wie bei Schütte-Lihotzky. Aicher forderte eine offene Küche mit einem Arbeitstisch als Mittelpunkt des Raumes. Eine Idee, die er mit dem bayrischen Küchenfabrikanten Bulthaup Anfang der achtziger Jahre umsetzte und später zur ersten „Küchenwerkbank“ weiterentwickelte, der Ursprung der heutigen Kochinsel. Ähnlich wie die Wohn- und Bauernküchen früherer Generationen sind Küchen heute wieder Orte der Kommunikation, in denen die Lust am gemeinsamen Kochen im Zentrum steht.

    Die heutige Antithese zur Frankfurter Küche: Kochinseln mit Platz für mehrere Köche. Foto: Bulthaup

    Titelfoto: Jonathan Savoie|Armin Herrmann/Werkbundarchiv – Museum der Dinge|Gerald Zugmann/MAK|Bulthaup

  • Kochbuch-Tipp: “Le grand bordel”

    Kochbuch-Tipp: “Le grand bordel”

    Dieses Kochbuch ist poetisch, opulent und surreal. Eine ganz eigene Welt zwischen zwei Buchdeckeln. Wenn man es aufschlägt, spürt man den Sog der Geschichten und die Anmut der Fotografien – man beginnt zu träumen: Der Leineneinband fühlt sich schön an, in goldener Schrift ist der Titel „Le grand bordel“, das große Durcheinander, eingeprägt. Dann stellen sich im Vorwort die Autoren vor, die Betreiber der Brasserie La Provence in Hamburg Ottensen. Auch ihre Gäste und Freunde in Norddeutschland und Frankreich sind sozusagen “Co-Autoren”, denn an den Tischen der Brasserie werden zu später Stunde und nach einigen Flaschen eines Côtes de Provence die schönsten Geschichten erzählt.

    Ihnen ist die erste Hälfte des Buchs gewidmet. Skurrile Geschichten von Protagonisten, die Meister des Genusses sind: Man findet sich in Picassos Atelier wieder, entdeckt einen rohen Fisch zwischen Dior-Roben und wird Augenzeuge, wie Mafiosis speisen. „Nehmen Sie aber bitte bloß nicht an, dass alles, was hier erzählt wird, passiert sei“, heißt es im Vorwort. Doch das, was man sich vorstellt und das, was man träumt – ist das nicht ebenfalls wahr? Fotograf Gerd George hat aus den wunderbaren Geschichten großartige, üppige Fotografien gemacht – Fotos, in denen man das Essen im großen Durcheinander erst finden muss.

    „Le grand bordel“ ist eine Hommage an die französische Küche, die verträumt und doch nicht abgehoben ist. Kein Haute Cuisine-Tam Tam, sondern die Liebe zur einfachen, klassischen provenzalischen Sonnenküche. Der zweite Teil des Buchs ist den Rezepten gewidmet. Hier werden „Confierte Gewürzkirschen mit Roquefort“ und „Kaninchenkeule mit leichter Thymian-Senf-Sauce“ serviert. Ein Highlight: Die „Muscheln in brennenden Piniennadeln“. Außerdem wird verraten, wie ein echt gutes „Croque-Monsieur“ gelingt. Bon! Das soll´s gewesen sein. „Le grand bordel“ ist deshalb so wunderbar, weil man darin die Schönheit des Durcheinander erkennt. Ist es nicht das, worauf es im Leben und beim Kochen ankommt?

    Le grand bordel
    232 Seiten mit 120 Fotos, Leineneinband
    Becker Joest Volk Verlag
    bei Amazon bestellen

    Fotos: Gerd George

  • Was sind Sulfite und warum enthält Wein Schwefel?

    Was sind Sulfite und warum enthält Wein Schwefel?

    Schwefel ist eine Notwendigkeit im Wein. Er dient der mikrobiologischen Hygiene ebenso, wie unserem Wohlbefinden. Die Frage ist nur, wann er wie in welcher Dosis dem Wein zugesetzt wird. Schwefel ist seit der Antike untrennbar mit dem Wein verbunden, trotzdem muss er auch heute nach wie vor für Vorurteile herhalten: »Schwefel im Wein macht Kopfschmerzen«, dürfte das Verbreitetste sein.

    Der ungebrochen schlechte Ruf der Schwefelung von Wein beruht auf Unwissenheit und Fehlinformation, vermutlich aber auch auf der Tatsache, dass die Schwefelung tatsächlich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder wegen heftiger Überdosierung verboten werden musste. Kaiser Maximilian I., ein bedeutender Förderer der Wissenschaften und der Künste, erlaubte um das Jahr 1500 herum die Schwefelung von Wein, schrieb aber zugleich den mit 40 mg/l ersten Grenzwert in der Geschichte des Weines vor.

    Sorgfältig verarbeitete Trauben brauchen weniger Schwefel 

    Wenn man vom Schwefel im Wein spricht, meint man damit das Schwefeldioxid SO2 bzw. das in wässeriger Lösung gebildete Sulfit. SO2 wird dem Most heute je nach Bedarf, also je nach Qualität der Trauben und des Weines, aus handelsüblichen Druckgasflaschen in flüssiger Form als Abfallprodukt der Petroindustrie leicht dosierbar zugesetzt. Es schützt Traubenmost und Wein vor Oxidation und bewahrt im Zusammenspiel mit dem pH-Wert, also der Summe aller Säuren im Wein, vor den vielfältig bakteriellen Angriffen, denen Wein ausgesetzt ist.

    Der Bedarf an Schwefel während der Weinbereitung hängt von komplexen Faktoren ab. Wer kerngesunde Trauben mit optimalem pH-Wert von Hand erntet und diese sorgfältig verarbeitet, angefaulte Trauben aussortiert und bei der Behandlung der Trauben von der Ernte bis zum fertigen Wein maximale Sorgfalt walten lässt, der kommt mit viel weniger SO2 aus als der unambitionierte Durchschnitts-Winzer, der mit dem Vollernter liest und Most und Wein nach Rezept verarbeitet.

    Weißweine enthalten mehr Schwefel als Rotweine

    Generell benötigen Weißweine wegen ihrer höheren Oxidationsempfindlichkeit und möglicher Zuckerreste mehr Schwefel als Rotweine. Dabei schützt der Schwefel nicht nur vor Oxidation, er dient auch der Bindung des unerwünschten Acetaldehyds, das in geringen Mengen von 10 bis 30 mg/l im Wein als Gärnebenprodukt entsteht; er wirkt zudem mikrobiell, schützt also vor Bakterien und Schimmelpilzen. Allerdings verändert und beeinträchtigt er je nach Dosierung auch den Geschmack und das Aroma des Weines. Je feiner und delikater ein Wein ist, umso empfindlicher reagiert er auf die Schwefeldosierung.

    Tatsächlich kann Schwefel einen Wein in seiner Entwicklung regelrecht blockieren und in Duft und Mundgefühl maskieren. In jungen Rieslingen kann man Schwefel oft als typisch rauhe Säurespur oben auf der Zunge spüren. Deshalb verarbeiten engagierte Spitzenwinzer ihre gesunden Trauben so sauber und schonend wie möglich, um die Schwefelzugabe so niedrig wie möglich halten zu können.

    Kopfschmerzen nach Weingenuss haben selten mit dem Schwefel zu tun

    Im Wein unterscheidet man zwischen dem gebundenen und dem freien Schwefel. So wird er auch vom Winzer angegeben. Der gebundene Schwefel ist sensorisch nicht wahrnehmbar und gesundheitlich ohne Bedeutung, wogegen der freie Schwefel im Wein als Sulfit, also als das Salz bzw. Ester der schwefeligen Säure vorliegt und je nach Dosierung riechbar ist bzw. bei zu hoher Dosierung gesundheitliche Beschwerden auslösen kann.

    Seit Januar 2006 muss die Schwefelung auf dem Etikett als »Enthält Sulfite« ausgewiesen werden und die EU hat für alle Arten von Weinen Höchstwerte definiert. Enthält ein Wein weniger als 10 mg/l darf er sich als »schwefelfrei« bezeichnen und der Sulfit-Hinweis darf entfallen. Wer Kopfschmerz nach Weingenuss erlebt, hat entweder zu viel Alkohol erwischt (und dazu geraucht) oder einen Wein getrunken, der zu wenig geschwefelt war (und/oder zu hohe pH-Werte aufwies) und deshalb Acetaldehyd und biogene Amine enthielt. An zu viel Schwefel liegt es nur selten.

    Fotos: K&U Weinhalle

  • Plastikkorken, Naturkorken oder Schraubverschluss?

    Plastikkorken, Naturkorken oder Schraubverschluss?

    Was ist der Unterschied zwischen Plastikkorken, zusammengeklebten „Ersatz-Korken“ und echtem Korken? Hat dieser Unterschied Einfluss auf den Wein? Wie sieht es mit dem Schraubverschluss aus? Diese Fragen beschäftigen nicht nur unsere Kunden, sondern alle Weinleute seit vielen Jahren und sorgen dafür, dass der Weinmarkt gespalten ist in die klaren Verfechter des Naturkorks und jene, die froh wären, wenn es Wein nur noch mit alternativen Verschlüssen gäbe.

    Wer kennt das nicht: Ein gemütlicher Abend, eine schöne Flasche Wein, das lustweckende „Plopp“ und dann schmeckt der Wein nach Kork oder einfach nur muffig, dumpf, chemisch, bäähh! Das ist umso ärgerlicher, je teurer die Flasche war. Kork ist ein natürliches Material und insofern mit der (statistischen) Imperfektion der Natur behaftet. Es hat lange gedauert, bis die Wissenschaft herausfand, welche komplizierten chemisch-biologischen Vorgänge den als „Korkschmecker“ bezeichneten Fehlton des Weines verursachen. Sie gehen auf die Lagerung der Korkplatten und den Reinigungsprozess der Korken bei der Herstellung zurück, doch gibt es auch äußere Einflüsse, die den Korken im Weingut oder beim Kunden im Keller nachhaltig durch Bildung der chemischen Verbindung „Trichloranisol“ (TCA) zerstören können. Deshalb ist und bleibt das Naturmaterial Kork unberechenbar und man hat heute die Wahl unter verschiedenen alternativen Verschlüssen:

    Plastikkorken

    Er gehört in keinen Wein. Er wird, damit er elastisch bleibt, mittels Weichmachern hergestellt, die sich dann prompt, das wissen wir von den dünnwandigen Plastikbilligflaschen aus dem Discounter, im Wasser und im Wein wiederfinden (Stichwort Pseudoöstrogene). Das muss nicht sein.

    Pseudokork (Konglomerat)

    In vielen Flaschen aus dem Discounter- und Supermarktregal findet man Kork, der keiner ist. Man sieht ihn von außen nicht. Er wird aus Korkresten per Klebstoff zusammengepresst, flächendeckend bedruckt, damit man nicht sieht, daß es sich um ein billiges Konglomerat, also um einen Pseudo-Korken, handelt, der natürlich auch, wenn man die Flaschen liegend lagert, binnen weniger Wochen den Klebstoff an den Wein abgibt. Der riecht und schmeckt dann entsprechend muffig, der Wein ist zerstört. Schade drum, also Billigflaschen mit solchen Billigstopfen niemals liegend lagern!

    Glasstopfen

    Eine optisch hochwertige Alternative zum traditionellen Naturkork, aber zu teuer und zudem auch nur mit einem Silikonring dicht zu kriegen, der im sauren Medium Wein schneller Versprödung unterliegt und deshalb keine dauerhafte Lösung darstellt.

    Diam

    Eine neue Technologie. Wenn ihr auf einem Korken, der auf den ersten Blick wie ein billiges Konglomerat aussieht, das Wort „Diam“ findet, habt ihr einen gar nicht billigen hochmodernen Kunstkorken in der Hand, der als natürliche Alternative zum Naturkork gehandelt wird. Er ist geprüft frei von Korkschmecker und wird aus aufwendig gereinigtem Naturkork, ohne Klebstoff thermisch zusammengepreßt, produziert. Dieser sogenannte Diam-Kork wird von immer mehr Produzenten erfolgreich eingesetzt, doch bleibt abzuwarten, wie er sich langfristig bewährt.

    Schraubverschluss

    Er vermittelt nicht das Flair von echtem Naturkork und seine Gegner bekritteln den Beigeschmack billigen Supermarktweines. In der Praxis aber hat er sich sehr bewährt und er besticht durch praktische Handhabung. Zwar hat auch er seine Macken, doch wenn er sachgerecht aufgebracht wird, scheint er in Zeiträumen normalen Weingenusses, also bis zu fünf oder zehn Jahre lang, einen Wein zuverlässig vor dem Verderb schützen zu können. Nur einfache Weine, die simpel primärfruchtig hergestellt wurden, neigen unter dem luftdicht abschließenden Schraubverschluß dazu, nach Chinaböller zu riechen, also Reduktionsaromen zu entwickeln. Über die Entwicklungs- und Lagerfähigkeit unter alternativen Verschlüssen sind bis heute noch keine absolut zuverlässigen Aussagen möglich, aber mir scheint der Schraubverschluss die bislang beste Alternative zum Naturkork zu sein.

    Naturkork

    Früher hat man mit Naturkork verschlossene Weine mit Siegellack als Abdichtung gegen die Korkmotte, aber auch gegen Oxidation geschützt. Heute weiß man, daß ein guter Naturkork absolut luftdicht verschließt, so daß der Wein im Inneren keinem Sauerstoffaustausch ausgesetzt ist. Er entwickelt sich also ausschließlich mit dem in ihm gelösten Sauerstoff, wie das unter einem guten Schraubverschluß auch der Fall ist. Als natürliches Material, als nachwachsender Rohstoff, ist Naturkork absolut faszinierend, physikalisch/chemisch ist er aber nicht besser oder schlechter als der Schraubverschluss. Seine Ökobilanz gilt es noch zu prüfen.

    Weil die Korkqualitäten trotz größter Bemühungen der Korkindustrie nach wie vor schwanken, bleibt das Risiko negativer Korkbeeinflussung unverändert bestehen und das Thema „Naturkork oder Alternativen“ wird die Weinwelt auch weiterhin beschäftigen.

    Fotos: K&U Weinhalle

  • Was macht ein Foodstylist?

    Was macht ein Foodstylist?

    Es ist frostig auf dem Hamburger Isemarkt und die Morgensonne steht noch tief. Stevan Pauls Tag beginnt früh. Heute ist einer der Produktionstage für sein aktuelles Kochbuch „Deutschland Vegetarisch“. Sieben Gerichte sollen an diesem Tag geshootet werden. Bevor das Shooting im Fotostudio beginnt, kauft er die Zutaten frisch auf dem Wochenmarkt in Hamburg-Eppendorf ein. „Ich liebe den Isemarkt“, sagt der Foodstylist, Kochbuchautor und Food-Blogger, „die Auswahl und auch die Qualität der Produkte sind großartig.“

    Stevan Paul kauft Kräuter, Kartoffeln, Pilze und Kürbis. Die Rezepte zu den Gerichten hat er genau im Kopf. Sie stammen alle aus seiner Feder, denn als Foodstylist ist man nicht nur für das Anrichten beim Foto-Shooting zuständig, man entwickelt und schreibt auch Rezepte. Dafür muss man professionell kochen können und das Handwerk perfekt beherrschen. Außerdem ist ein Blick für die Ästhetik von Speisen nötig, denn dieser Blick zeichnet gute Food-Fotos aus.

    Foodstylist ist kein Ausbildungsberuf, meistens erreicht man ihn auf Umwegen. Stevan Paul hat mit einer klassischen Kochausbildung begonnen, später als Redakteur für Food-Zeitschriften gearbeitet, bevor er sich als Foodstylist und Autor selbstständig gemacht hat. „Das Allerwichtigste beim Foodstyling“, erzählt er, „ist die menschliche Kompetenz“. Denn anders als der Koch in der Küche, arbeitet man täglich mit Kunden und Fotografen zusammen. Bei langen Shooting-Tagen muss man Geduld mitbringen und absolute Konzentration. „Da ist eine buddhistische Gelassenheit gefragt“, erklärt er und schmunzelt, „wenn man zum hundertsten mal die Kaffeebohne von links nach rechts schiebt.“

    Beim Shooting an diesem Dienstag Vormittag läuft jedoch alles glatt, denn Stevan Paul und die beiden Fotografen vom Fotostudio Kramp+Gölling sind gut eingespielt – das merkt man, denn die Stimmung ist gut und jeder Handgriff sitzt. Während Stevan Paul in der Küche Gemüse putzt und schneidet und auf einem alten, gusseisernen Herd die Speisen zubereitet, wird im Nebenraum das Licht und die Dekoration vorbereitet.

    Jetzt geht es um die Wahl der Teller, des Untergrunds und der Accessoires. Im Fotostudio steht dafür eine immense Auswahl an Requisiten bereit. Zahlreiche Regale sind bis unter die hohen Altbau-Decken mit Geschirr gefüllt – thematisch geordnet nach der gewünschten Ästhetik: In einem Regal steht Asia-Geschirr bereit, in einem anderen rein-weißes Geschirr in allen Größen, in einem dritten ist wunderschönes antikes Geschirr gesammelt – eine Oase für Vintage-Liebhaber!

    Die Auswahl für das heutige Shooting fällt auf einen Emaille-Teller, ein Holzbrett in Shabby-Optik, eine gusseiserne Pfanne und ein Tuch aus Halbleinen. Denn der Look, der sich durch alle Fotos des Kochbuchs durchzieht, ist urban-rustikal und schlicht. Die Accessoires passen zu Stevan Pauls kulinarischem Stil: Für „Deutschland Vegetarisch“ hat er die traditionelle, vegetarische Küche in den verschiedenen Regionen Deutschlands neu entdeckt.

    Inzwischen duftet es in der Küche schon nach gebratenen Pilzen. Bevor Stevan Paul die Pilze in der gusseisernene Pfanne anrichtet, greift er zum Löffel und schmeckt noch einmal sorgfältig ab. Es fehlt noch eine Prise Salz, die schmeckt man zwar nicht auf dem Foto, für Stevan Paul ist sie trotzdem wichtig: „Ich mache keinen Unterschied beim Kochen für´s Shooting oder für meine Gäste“, erklärt er, setzt einen Klecks Creme Fraiche auf die heiße Pilz-Pfanne, der sofort verläuft. „Die Gerichte müssen auf den Bildern so aussehen, wie sie sind, nicht verkünstelt. So, wie man sie auch zuhause hinkriegen kann. Echt und authentisch.“ Stevan Paul ist mit Leidenschaft bei der Sache, er kann das Kochen in seinen Büchern so wunderbar vermitteln, weil er selbst ein absoluter Genießer ist.

    Fertig ist die Pilz Pfanne, schnell wird sie nebenan in den Studio-Raum getragen. Zwei Holzklötze stehen schon bereit – dort, wo der Teller perfekt ausgeleuchtet ist und platziert werden soll. Das Foto selbst geht ganz schnell: Es piept, es blitzt und in nicht einmal einer Minute ist die Pilzpfanne im Kasten.

    Nur ab und an kommt der Wagen mit Instrumenten und Besteck zum Einsatz, der im Studio-Raum bereit steht. Manchmal wird mit einer Sprühflasche ein wenig Wasser auf ein Gemüse gesprüht. Stoffhandschuhe verhindern Fingerbadrücke beim dekorieren. Pinzetten und Kellen erleichtern das Drapieren, wenn eine Speise doch einmal störrisch ist. Stevan Paul kommt aus der Küche und serviert den Emaille-Teller mit Kürbisstampf. Mittig soll krause Petersilie platziert werden – ein grüner Farbklecks auf dem orangenen Gericht. „Die Petersilie ist zickig, sie kippt ständig weg“, sagt er und legt noch einmal Hand an.

    Nach jedem Foto geht der Blick auf den Monitor. Fehlt noch etwas? Ja, ein Glas Wein neben dem Teller. „Ein schöner Riesling aus dem Rheingau“, sagt Stevan Paul, „was Feines!“, und platziert die Karaffe und das Glas. Mit diesem Schuss sind dann alle zufrieden. Im Topf auf dem alten Herd ist noch Kürbisstampf übrig – der bleibt für später, denn am Ende des Shootings wird gemeinsam gegessen. Gut, dass das Essen so köstlich gewürzt ist und der Riesling ist ja auch schon offen.

    www.stevanpaul.de

    Stevan Pauls Foodblog: www.nutriculinary.com

  • Was bedeutet “Bio” beim Wein?

    Was bedeutet “Bio” beim Wein?

    Kaum jemand scheint zu wissen, dass es “Biowein” bislang nicht gab. Er durfte sich so nicht nennen, weil zwar der Anbau im Weinberg geregelt war, für den Ausbau im Keller aber fehlten verbindliche Richtlinien. Deshalb musste sich biologisch produzierter Wein als “Wein aus biologisch angebauten Trauben” bezeichnen. Erst im März 2012 erließ die EU überraschend die Durchführungsverordnung EU 203/2012 zur biologischen Kellerwirtschaft, nach der sich Wein, der entsprechend dieser Verordnung produziert wird, jetzt offiziell “Biowein” nennen darf.

    Die konventionelle Kellerwirtschaft nutzt alle möglichen Zusatzstoffe und physikalischen Verfahren, um Wein den Anforderungen des Marktes geschmacklich anpassen zu können. Dass das im “Biowein” seit März 2012 durch besagte Verordnung nicht sehr viel anders ist, finde ich bedenklich. Die neue Verordnung schreibt für Bioweine maximale Schwefeldioxidgehalte vor und verbietet den Zusatz von Sorbinsäure, einem umstrittenen Stabilisator gegen Nachgärungen. Sie erlaubt außerdem die Auf- und Entsäuerung und lässt aus der langen Liste chemischer Zusätze Ascorbin- und Zitronensäure als Stabilisatoren ebenso zu, wie Aktivkohle und zahlreiche Zusätze zur Schönung und “sicheren” Verarbeitung wie Reinzuchthefen und Enzyme. Selbst das umstrittene Kupfercitrat zur Böckserbeseitigung ist zugelassen. Was endgültig abzulehnen ist, sind aber die ebenfalls genehmigten geschmacksverändernden Zusatzstoffe wie Tannine, Gummi arabicum und Eichenchips. Sogar die Umkehrosmose ist als Verfahren “zur Überprüfung” im Biowein zugelassen.

    Die bisher von großen Abfüllern unverfroren ausgenutzte Grauzone der Kellerwirtschaft im Biowein wird somit durch eine industriefreundliche EU-Verordnung ersetzt, die Bio-Großkellereien und Bio-Abfüllern legal gestattet, aus der konventionellen Weinwirtschaft stammende Verfahren und Zusatzstoffe für preiswert produzierte Bioweine einzusetzen, wie sie in den Regalen von Bioläden und Supermärkten stehen. Die lang ersehnte EU-Verordnung zur Kellerwirtschaft fordert damit vor allem die seriösen Bioverbände wie Bioland, Ecovin, Demeter etc. heraus, droht sie doch “Bio” im Wein zu merkantiler Makulatur zu machen.

    Kein Wunder, dass es auf diese Verindustrialisierung des Bioweines prompte Gegenreaktion seitens seriöser Biowinzer gibt. Zumal sich die Gesetzeslage geändert hat: Nur wer das neue EU-Bio-Logo mit der Nummer seiner Prüfstelle auf dem Etikett führt und alle Begleitpapiere mit der Nummer des Zertifikates und der Bioprüfstelle versieht, darf sich in Zukunft auch “Bio” nennen. Dagegen laufen immer mehr biologisch zertifizierte Winzer Sturm. Sie möchten mit dieser Art nun offiziellen Bioweines nichts zu tun haben. Sie sind und bleiben zertifiziert, schreiben dies aber nicht auf ihre Etiketten. So entsteht ein zweiter Markt für Bioweine, die sich nicht so nennen dürfen, in der Regel aber sogar demeter-zertifiziert sind und sehr viel hochwertigere Weine produzieren als die meisten Biowinzer, die groß “Bio” auf ihre Flaschen schreiben. Der Biowein ist im Wandel und man darf gespannt sein, wie er sich aus dieser unklaren Situation heraus weiterentwickelt. Seinem derzeitigen Zustand kann man ihm jedenfalls als kritischer Verbraucher nicht trauen.

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